Am letzten Septemberwochenende war der aus dem Allgäu stammende, inzwischen in Neuseeland lebende Pianist Michael Endres zu Gast bei der Chopin-Gesellschaft. Am Samstag hielt er zunächst einen Vortrag zum Thema „Belcanto auf dem Klavier“, in dem er Studierenden der Stella-Musikhochschule, Mitgliedern der Chopin-Gesellschaft sowie Vorarlberger Klavierpädagog*innen unter anderem anhand historischer Tonaufnahmen erstaunliche Einblicke in das Klavierspiel des frühen 20. Jahrhunderts eröffnete, das sich doch deutlich vom heutigen Spiel unterscheidet.

Am Sonntag gab Endres im Pförtnerhaus einen mit „Grenzgänge“ betitelten Klavierabend mit Werken von Schubert und Gershwin, der das Publikum begeisterte. Angetan zeigte sich auch Michael Löbl in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft. Seine Rezension veröffentlichen wir nachfolgend mit freundlicher Genehmigung.

„Das Zeug soll der Teufel spielen“

Der Pianist Michael Endres am Sonntag zu Gast bei der Chopin-Gesellschaft Vorarlberg

Michael Endres stammt ursprünglich aus Sonthofen, hat sich aber bereits in jungen Jahren für ein Studium fernab der Allgäuer Heimat entschieden, nämlich an der Juilliard School in New York sowie in München und London. Er war einer der bevorzugten Klavierpartner des Baritons Hermann Prey und spielte als Solist bei den Salzburger Festspielen, in der Londoner Wigmore Hall, dem Musikverein in Wien oder in der Suntory Hall Tokio.

Seine zahlreichen CD-Einspielungen sind mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem französischen „Diapason d‘or“. Außer Gesamtaufnahmen des Klavierwerkes von Maurice Ravel oder aller Schubert- Klaviersonaten hat er auch Werke von unbekannten Komponisten – wie dem Engländer Arnold Bax – auf CD aufgenommen. Er unterrichtete an Musikhochschulen in Köln, Berlin und Oslo, lebt nun aber seit vielen Jahren in Neuseeland, wo er an der University of Canterbury in Christchurch einen Lehrstuhl innehatte.

Grenzgänge

Sein Programm unter dem Titel „Grenzgänge“ stellte die Komponisten Franz Schubert und George Gershwin einander gegenüber. Das mag zwar auf den ersten Bick überraschend erscheinen, aber bei genauerem Hinsehen ist das Thema „Lied“ die gemeinsame Klammer dieser Zusammenstellung. Schubert hat in seiner „Wandererfantasie“ ein Lied in den Mittelpunkt gestellt, und Gershwins „Songbook“ ist seine Fassung von 18 eigenen Songs für Klavier.
Wir betrachten das Konzert in umgekehrter Richtung. Lange in Erinnerung bleiben werden die beiden Zugaben: „Widmung“ von Robert Schumann in der Klavierfassung von Franz Liszt und Bachs „Air“, der überirdisch schöne zweite Satz aus J.S. Bachs dritter Orchestersuite. Mit George Gershwin beschäftigt sich Michael Endres bereits seit seiner Jugend und das „Songbook“ hat er auch auf CD aufgenommen. In einem Interview bezeichnete er es als „hart zu knackende Nuss“, da die Musik weder nach Broadway noch nach Jazz klingen sollte, sondern nach etwas genau dazwischen. Dass die alten Aufnahmen mit George Gershwin selbst am Klavier so überhaupt nicht mit seinem Notentext zusammenpassen, macht die Sache nicht einfacher. Endres Interpretation vereint Gershwins jazzige Lockerheit mit einem klassisch-strengen Zugang und überzeugt damit auf der ganzen Linie. Nicht nur wird der Text wirklich ernst genommen, auch kleinste Details sind hörbar, parallel dazu kommt aber die typische Tonsprache der Zwanzigerjahre nicht zu kurz. Das Publikum war begeistert.

Überzeugender Schubert

Begonnen hat der zweite Konzertteil mit drei Schubert-Liedern in der Klavierfassung von Franz Liszt: „Wohin?“, „Ständchen“ und „Die Forelle“.
Der erste Teil des Konzertes hingegen war zwei Fantasien von Franz Schubert gewidmet. Zunächst die erst vor 60 Jahren wiederentdeckte „Grazer Fantasie“ D 605a, sie ist wenn man so will die kleine Schwester der darauffolgenden gleichermaßen berühmten und bei Pianisten gefürchteten „Wandererfantasie“.
Die „Wandererfantasie“ war ein Auftragswerk eines Amateurpianisten, der explizit „etwas Virtuoses“ bestellt hat. Und Schubert hat geliefert. Dieses Stück ist technisch äusserst anspuchsvoll, Schubert selbst soll, als er die „Wandererfantasie“ einmal seinen Freunden vorspielte, im letzten Satz mit den Worten „Das Zeug soll der Teufel spielen!“ aufgegeben haben. Wobei die kräftezehrenden Akkordrepetitionen und Oktavketten auf Klavieren aus Schuberts Zeit gänzlich anders geklungen haben als auf einem modernen Konzertflügel. Die Tasten waren kürzer, der Anschlag leichter, die Klaviere hatten weniger Volumen, aber einen sehr farbenreichen Klang und begünstigten eine feinere Artikulation, erforderten aber auch eine präzisere Spielweise.

Ein Wanderer mit Jetlag

Direkt aus Neuseeland eingeflogen und – laut eigener Aussage – mit dem damit verbundenen Jetlag im Gepäck gelangen Michael Endres die Interpretationen beider Fantasien sehr überzeugend. Sein Spiel ist geprägt von einer feinen Balance zwischen gesanglichem Duktus und virtuosem Zugriff. Manchmal vermisste man eine gewisse entspannte Leichtigkeit, die allerdings dann bei Gershwin umso mehr spürbar war. Grundlage der „Wandererfantasie“ ist Schuberts Lied „Der Wanderer“, dessen Thema sich im zweiten Satz zu einer stetig steigernden Variationskette emporschwingt. Das klang bei Michael Endres absolut überzeugend, jede Variation erhielt ihren eigenen unverwechselbaren Charakter und die beiden virtuosen Schlusssätze begeisterten die Zuhörer:innen.