Mit klarer Überlegenheit, Intelligenz, Witz und Spiellaune

Der Pianist Benjamin Engeli eroberte Bachs virtuose Goldberg-Variationen.

Es gilt auch in allerhöchsten Pianistenkreisen bis heute als Abenteuer höchsten Grades, sich auf Bachs Goldberg-Variationen einzulassen, dieses Gipfelwerk europäischer Klavierkunst. In Vorarlberg hört man es entsprechend relativ selten, nun aber innerhalb von drei Monaten gleich zum dritten Mal.

Der grandiose Igor Levit setzte im September bei der Schubertiade Schwarzenberg am Klavier spannend hohe Maßstäbe, gefolgt wenige Tage danach von Martin Heini bei den „Montafoner Resonanzen“ in Tschagguns in einer exotischen Version für Orgel. Eine dritte Wiedergabe wagte nun über Einladung der Chopin-Gesellschaft am Flügel des Pförtnerhauses der seit 2013 am Landeskonservatorium tätige Schweizer Benjamin Engeli (39) und eroberte seine Zuhörer mit einer Version voller Intensität und Brillanz.

Engeli wurde u. a. von András Schiff und Maurizio Pollini ausgebildet. Kurz nach seinem Antritt am Konservatorium präsentierte er sich mit einem Kaliber wie Brahms‘ zweitem Klavierkonzert hier erstmals öffentlich als versierter Romantiker.

Bei Bach nun gelten völlig andere Gesetze. Er führt mit seiner extrem ausgereiften Kontrapunktik auf die Grundfesten abendländischer Musik zurück und fordert damit schier Übermenschliches von den Interpreten. Die dazu immer wieder kolportierte Geschichte, Bach habe dieses Werk 1740 für den cembalokundigen Adlatus des Grafen Kayserling als „Schlafmittel“ für seinen Herrn erfunden, erscheint einem angesichts solcher Extreme kurios und lässt wohl auch heute noch so manchen minder begabten Pianisten mit einem „Na dann – gute Nacht!“ vor solch einer kaum lösbaren Aufgabe kapitulieren.

Konzentriert

Nicht so Benjamin Engeli. Er vermittelt zunächst dem Publikum zum besseren Verständnis verbal und über ein mit Notenbeispielen gestaltetes Programm sein tiefgreifendes Wissen um dieses Werk und bringt dann mit klarer Überlegenheit, Intelligenz, Witz und Spiellaune seine pianistischen Trümpfe ins Spiel, nach kurzer Anlaufzeit auch technisch auf bewundernswertem Niveau. Weil Bach sein Werk für ein zweimanualiges Cembalo komponiert hat, bedeutet jede Wiedergabe auf einem modernen Konzertflügel mit einer einzigen Klaviatur einen Kompromiss, dem der Pianist mit einem oftmaligen Ineinander- und Übergreifen der Hände begegnen muss. Engeli beherrscht diese Technik, bei der sich die Hände im Weg zu sein scheinen, virtuos, gibt zudem der reich ausgezierten Melodielinie in der Rechten eine besondere farbliche Artikulation, die sie aus dem dichten Geflecht heraushebt. Er unterstreicht damit auch die Charakteristik der in mathematischer Klarheit angelegten 30 kunstvollen Variationen, in denen Bach das Thema der schlichten „Aria“ immer wieder neu beleuchtet. Er lässt der Musik mit ihren Hochgeschwindigkeitsstrecken bei aller sich stets noch steigernden Virtuosität aber auch Raum zum Atmen und scheut auch nicht vor agogischen, leicht romantischen Anspielungen zurück, mit denen er Harnoncourts Diktum ungeniert hinterfragt. Besonders die Moll-Variation Nr. 25 im Adagio-Tempo, der längste und traurigste Teil, entsteht so in traumhaft versonnen hingetupfter Spielweise von berührender Eindringlichkeit. Selbstredend, dass Engeli das 80-minütige Werk in bewundernswerter Merkfähigkeit auswendig und bis zum Ende auch ohne jeden Spannungsverlust bewältigt.

Die zahlreichen Zuhörer gehen konzentriert diesen riskanten und steinigen Marathon mit und feiern gemeinsam mit dem Bezwinger einen jubelnden Gipfelsieg.

Mit freundlicher Genehmigung von  Fritz Jurmann und den Vorarlberger Nachrichten 

Bild: Fritz Jurmann